“Ich habe es die ganze Zeit gewusst”
Die Ölpreise sind in den letzten sechs Monaten um die Hälfte gefallen und die Benzinpreise sind nun niedriger als noch vor zehn Jahren. Fast die Hälfte aller amerikanischen Tankstellen verkauft die Gallone für weniger als 2 USD.
Wem gebührt der Dank für diese Ersparnis?
Die bekannteste Erklärung ist der Frackingboom, durch den sich die Ölförderung seit 2005 verdoppelt hat.
“Autofahrer, die an der Zapfsäule aufgrund von sinkenden Ölpreisen weniger zahlen, können dem Energieboom in den USA danken, in dessen Zuge Schieferöl gefördert wird“, schrieb Fox News letzte Woche.
„Danken Sie Fracking für die fallenden Benzinpreise“, schrieb The Daily Caller.
Diese Zeitungen haben wahrscheinlich recht. Es erscheint offensichtlich, dass der Ölboom in den USA zu fallenden Preisen geführt hat und keine weitere Erklärung notwendig ist.
Aber irgendetwas ist seltsam.
Wir wissen von dem Energieboom in den USA schon seit Jahren, lange bevor der Ölpreis begonnen hat zu sinken. Und es ist nicht lange her, dass die meisten Leute befürchtet haben, dass der Ölboom gar nicht zu fallenden Preisen führen wird.
“Drill, Baby, Drill scheitert: Warum Benzinpreise trotz des Ölbooms hoch bleiben”, titelte ein Artikel 2013.
„Warum mehr US-Öl nicht unbedingt billigeres Benzin bedeuten muss“, argumentierte ein anderer Artikel.
Vor Juni war es allgemein anerkannt, dass der Ölboom nicht zu niedrigeren Benzinpreisen führen wird, da Öl global gehandelt wird und wachsende Ökonomien, wie China, aufholen.
Diese Argumente waren sinnvoll und zu dieser Zeit vernünftig.
Aber heute bringen wir exakt das gegenteilige Argument. Und das genau so selbstbewusst wie zuvor.
Warum ist es so einfach, zu behaupten, dass die fallenden Ölpreise offensichtlich an dem Energieboom in den USA liegen, als ob wir das schon immer gewusst haben, wenn so viele Leute nur sechs Monate zuvor das Gegenteil behauptet hatten?
Dinge ändern sich und Vorhersagen sind schwierig. Die weltweite Nachfrage nach Öl hat sich verlangsamt und die OPEC hat ihre Produktion nicht gedrosselt. Nur wenige haben diese Entwicklung vorhergesehen, die dazu führten, dass der Ölpreis fällt.
Aber hier wird gerade ein Rückschaufehler begangen.
Der Rückschaufehler ist die Fähigkeit, zu glauben, dass man etwas schon die ganze Zeit gedacht hat. Zum Beispiel, dass der Ölboom die Benzinpreise drücken wird. Allerdings hatte man die ganze Zeit in Wirklichkeit eine andere Meinung.
In dem Buch „Thinking, Fast and Slow“ schreibt der Psychologe Daniel Kahneman:
Die allgemeine Begrenztheit des menschlichen Gehirns zeigt sich in seiner unvollkommenen Fähigkeit, sich an vergangene Zustände zu erinnern und anzuerkennen, dass sich die Meinung geändert hat. Sobald man die neue Perspektive eingenommen hat, verliert man die Fähigkeit, sich daran zu erinnern, was man vor der eigenen Meinungsänderung geglaubt hat.
Es scheint heute so offensichtlich, dass die Verdopplung der Ölproduktion der USA die Ölpreise drückt. Aber es ist schwer, sich daran zu erinnern, wie viele Leute dies vor sechs Monaten geglaubt hatten.
Rückschaufehler vernebeln unser Denken und geben uns den Eindruck, dass die Welt sauber und vorhersehbar arbeitet, während man eigentlich fast ständig daneben liegt. Dieser Ansatz, das Skript zu ändern, ist einfacher, als zuzugeben, dass die Dinge kompliziert und unvorhersehbar sind.
Es wirkt
Bevor Richard Nixon 1972 nach China reiste, hat der Psychologe Baruch Fischhoff eine Gruppe Studenten gefragt, wie wahrscheinlich sie verschiedene diplomatische Resultate der Reise sehen. Darunter waren Fragen, ob die USA China diplomatisch anerkennen wird oder ob Mao Zedong den Präsidenten überhaupt trifft.
Nach der Reise hat Fischhoff die Studenten gebeten, sich an die Wahrscheinlichkeiten zu erinnern, die sie abgegeben hatten. Er zeigte, dass, wenn ein Ereignis tatsächlich eingetreten ist, die Studenten glaubten, dass sie vor der Reise eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit abgegeben hatten. Falls ein Ereignis jedoch nicht eingetreten ist, waren die Studenten der Meinung, dass sie eine niedrigere Wahrscheinlichkeit genannt hatten, als sie es tatsächlich getan hatten.
Im Fall O. J. Simpson hat eine andere Gruppe von Psychologen zwei Stunden vor und 48 Stunden nach der Urteilsverkündung Leute gefragt, wie gut die Chancen stehen, dass O.J. Simpson des Mordes für schuldig befunden wird.
“Die Leute urteilten häufiger, dass Simpson freigesprochen werden würde, nachdem das Urteil verkündet worden war (und somit, nachdem sie wussten, dass er freigesprochen wurde), als bevor sie wussten, dass das Urteil gesprochen wurde“, schrieben sie.
Wir haben dies auch während der Finanzkrise 2008 getan. Es scheint so offensichtlich, dass Wohnungsbau 2006 eine Blase war und das Banksystem zusammenbrechen würde, wenn die Rechnung beglichen werden sollte. Jeder weiß es im Nachhinein. Aber eine ziemlich verbreitete Ansicht vor 2007 war, dass selbst, wenn Wohnungsbau eine Blase sein sollte, die Folgen auf schlechte Hypotheken beschränkt bleiben. Diejenigen, die die Finanzkrise vorhergesagt hatten, hatten recht, allerdings aus den falschen Gründen. Sie haben einen Zusammenbruch des Dollars und steigende Zinsen vorhergesagt. Aber dies ist genau das Gegenteil von dem, was tatsächlich eingetreten ist.
Wer weiß, was mit den Ölpreisen passiert. Aber was auch immer passiert, behaupte nicht, dass du es schon die ganze Zeit gewusst hast.
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Dieser Artikel wurde von Morgan Housel auf Englisch verfasst und am 06.01.2015 auf Fool.com veröffentlicht. Er wurde übersetzt, damit unsere deutschen Leser an der Diskussion teilnehmen können.