Marktversagen im Back-Sektor: Das geht auch Anleger etwas an
Wenn ich vor 30 Jahren als Kind Brötchen geholt habe, dann musste ich mit dem Fahrrad 5 Minuten durch die Stadt fahren. In diesem Umkreis gab es eine Handvoll Bäcker, die jeder mit Nachnamen kannte. Es gab ein abwechslungsreiches Angebot und lokale Spezialitäten.
Dann kamen die Kamps-Revolution, Selbstbedienung, Tiefkühl- und Convenience-Backwaren sowie Supermarktaufbackstationen. Etwa drei von vier Handwerksbäckereien mussten über die Jahrzehnte aufgeben. Übrig blieb vielerorts öde Einheitsware vom regionalen Zentralbäcker, aufgebackene Massenware aus der Back-Megafactory und gegebenenfalls noch Luxusware vom Feinkostbäcker.
Dafür gibt es heutzutage an jeder Ecke eine Verkaufsstelle, im Umkreis von 5 Fahrradminuten wahrscheinlich 100 davon. Ist das wünschenswert? Für viele zählt die Bequemlichkeit offenbar mehr, als die Qualität des Angebots. Diejenigen aber, die sich bezahlbare und frische Backspezialitäten in großer Auswahl wünschen, haben keine Anlaufstelle mehr, weil Angebot und Nachfrage nicht mehr in ausreichendem Maße zusammenkommen.
Dabei hat die Massenware nicht mal für billigere Preise gesorgt, weil der gestiegene Vertriebsaufwand die Einsparungen in der Produktion auffrisst. Weniger Bäcker-Lehrlingen steht also mehr Verkaufspersonal gegenüber.
Aus meiner Sicht ist an dieser Stelle ein Marktversagen zu beklagen. Der freie Wettbewerb hat Strukturen geschaffen, die zwar die althergebrachten Strukturen revolutioniert haben, aber sich vom Optimum eher entfernt haben.
Die Folge: Disruption!
Wo der Markt nicht optimal funktioniert, da lauert die nächste Revolution. Das sehen wir beispielsweise im Taxi-Bereich, wo Uber die traditionellen Strukturen in Windeseile aufgebrochen hat (dort, wo der Gesetzgeber es erlaubt hat).
Auch Energieversorger wie RWE (WKN:703712) und E.ON (WKN:ENAG99) haben sich zu lange auf den fetten Erträgen ihrer fossilen Zentralkraftwerke ausgeruht, bis die Energiewende sie überrollte. Dabei forderten Millionen Bürger seit Jahren eine Abkehr von den rußenden und strahlenden Kolossen.
Ein weiteres Beispiel ist Metro (WKN:725750), die sich traditionell als Protagonist des stationären Handels versteht. Obwohl bereits im Jahr 2000 eine E-Commerce-Offensive gestartet wurde, blieb das neue Geschäft bis heute relativ klein. Im Vergleich zu Amazon (WKN:906866) ist der einstige Handelsriese nur noch eine kleine Nummer.
Dass Kunden die Bequemlichkeit schätzen, vom heimischen Sofa aus zu bestellen, war eigentlich offensichtlich, aber die Zwänge des bestehenden Geschäfts machten eine Anpassung an die neuen Bedingungen schwierig.
Aus all diesen Beispielen folgt, dass eine Analyse des bestehenden Marktdesigns ein wichtiges Kriterium darstellt, um Aktien und ihr Zukunftspotential einzuschätzen. Das bedeutet konkret, dass wir uns als Anleger die Frage stellen sollten, ob die Art und Weise, wie ein Unternehmen (bzw. eine gesamte Branche) seine Produkte vertreibt und seine Gewinne erzielt, wünschenswert ist.
Werden die Bedürfnisse aller Interessengruppen – insbesondere der Kunden – berücksichtigt oder gibt es irgendwo den starken Wunsch nach Veränderung?
Gefahren lauern überall
Zurecht fürchten Unternehmen nichts so sehr wie neue Wettbewerber, die sie ersetzen wollen. Mit den altbekannten Branchen-Rivalen kommen sie in der Regel gut zurecht. Wenn aber jemand kommt, der die sich verändernden Marktbedingungen nutzt, um etwas komplett Neues zu probieren, dann wird es wirklich gefährlich.
Alarmiert sind seit einiger Zeit die Autohersteller. Das Geschäftsmodell, qualmende Fahrzeuge mit Millionen Konfigurationsmöglichkeiten über ein dichtes und teures Vertriebsnetz zu verkaufen, hat wahrscheinlich in einigen Jahren ausgedient. Ich bezweifle jedenfalls, dass der Kunde dauerhaft bereit sein wird, einen erheblichen Aufpreis dafür zu bezahlen, anstatt ein Produkt mit ausgefeilteren Features zum gleichen Preis zu bekommen.
Konnektivität, Carsharing, Elektroantrieb und künstliche Intelligenz sind nur einige der Stichworte, die nun zügig alles auf den Kopf stellen werden. Sind BMW (WKN:519000), Daimler (WKN:710000) und Co. noch auf der Höhe der Zeit? Die Aktionäre müssen darauf hoffen und ganz so schlecht sieht es im Moment ja nicht aus.
Daneben müssen aber auch Filialbanken, Lebensversicherer, Anlagenbauer und viele andere immer wieder hinterfragen, ob die Regeln, nach denen ihre Branche funktioniert, noch Zukunft haben.
Schließlich ist nicht nur das Internet mittlerweile immer besser weltweit zugänglich. Auch Energie wird bald überall produziert, 3D-Drucker erlauben eine Teilefertigung auf der entlegensten Insel und Drohnen können die letzte Meile auch in sonst unzugänglichem Gebiet kostengünstig überbrücken.
Neue Marktbedingungen drängen sich so in fast allen Branchen geradezu auf und ein flexibler Neueinsteiger könnte im Vorteil sein gegenüber den etablierten Spielern, weil er keinerlei Rücksicht auf Bestehendes nehmen muss.
Neue Brötchen
Wenn eine kritische Masse entsteht, die sich nach traditionellem Backhandwerk zum fairen Preis sehnt, dann bin ich sicher, dass eines Tages eine neue Idee die bestehenden Strukturen aufbrechen kann. Ob die dampfenden Brötchen und süßen Stückchen dann per Drohne eingeflogen werden, weiß ich nicht, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass in diesem Bereich etwas gehen könnte.
Aber nicht nur der Backwaren-Sektor, sondern auch viele andere Branchen leiden unter verkrusteten Strukturen, die nur darauf warten, von etwas Neuartigem aufgebrochen zu werden. Ich kann dir daher nur ans Herz legen, deine Unternehmen daraufhin zu überprüfen, ob sie flexibel und proaktiv genug aufgestellt sind, um von den neuen Markttreibern zu profitieren, anstatt von ihnen weggefegt zu werden.
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Ralf Anders besitzt Wertpapiere auf E.ON. The Motley Fool empfiehlt und besitzt Aktien von Amazon.com. The Motley Fool empfiehlt BMW und Daimler.