Schon bemerkt? Wirecard ist wieder weniger wert als die Deutsche Bank ‒ eine Analyse der Lage zweier ungleicher Aktien
Vor wenigen Monaten ist die Deutsche Bank (WKN:514000) unter großer öffentlicher Anteilnahme von Wirecard (WKN:747206) abgehängt worden. Die Marktkapitalisierung der Chartrakete übertraf diejenige des altehrwürdigen (oder besser alteingesessenen) Finanzinstituts. Nachdem bei Wirecard der Treibstoff ausgegangen zu sein scheint, hat nun allerdings fast unbemerkt die Deutsche Bank zumindest temporär wieder die Nase vorn gehabt.
Wie ist das einzuschätzen und wie könnte es nun weitergehen? Eine aktualisierte Lageeinschätzung eines außergewöhnlichen Duells.
Was höher steigt, kann auch tiefer fallen
Es war schon beeindruckend, wie Wirecard rund um den DAX-Aufstieg im September immer neue Rekorde markierte. Zwischenzeitlich war der Zahlungsdienstleister über 15 % mehr wert als die Deutsche Bank, wie die folgende Grafik, die die Marktkapitalisierung der Deutschen Bank prozentual mit derjenigen von Wirecard vergleicht, zeigt:
Bis Ende November konnte das Traditionshaus wieder deutlich die Oberhand gewinnen. Doch aktuell werden beide mit rund 16 Mrd. Euro bewertet und das Rennen ist wieder ganz knapp. Zu feiern haben Aktionäre der Bank aber trotzdem nichts: Der Kurs erreichte in der ersten Dezemberwoche neue Allzeittiefs. Wirecard hingegen ist mit einem Plus von rund 40 % (Stand 06.12.) noch immer einer der großen Gewinner des laufenden Jahres.
Das relativiert den Erfolg im Vergleich. Wirecard wurde aus meiner Sicht einfach zu extrem nach oben gepusht und pendelt sich nun wieder auf einem vernünftigeren Niveau ein.
Wie es nun weitergeht
Von daher ist es durchaus respektabel, dass sich Wirecard trotz des starken Rückgangs von über einem Drittel vom Allzeithoch bei 199 Euro noch immer ganz gut behaupten kann gegenüber der ungleich größeren Deutschen Bank:
in Mio. EUR zum 30.09.18 | Wirecard | Deutsche Bank | Faktor |
Mitarbeiter | 5.082 | 94.717 | 18,6 |
Eigenkapital, den Aktionären zustehend | 1.810 | 62.577 | 34,6 |
Bilanzsumme | 5.195 | 1.379.982 | 265,6 |
Langfristige verzinsliche Verbindlichkeiten | 1.199 | 115.483 | 96,3 |
Vorsteuerergebnis Q3/2018 | 120 | 506 | 4,2 |
Nachsteuerergebnis Q3/2018 | 97 | 229 | 2,4 |
Tabelle erstellt vom Autor auf Basis der Angaben in den Berichten zum Q3/2018.
Die ausgewählten Kennzahlen zeigen, dass die Deutsche Bank – auch wegen der regelmäßigen Eigenkapitalerhöhungen – eigentlich ein ganz anderes Kaliber ist. Aber sie notiert weit unter ihrem Buchwert, während Wirecard mit einem Vielfachen davon bewertet wird. Letztlich kommt es eben nur darauf an, wer über die nächsten Jahre unter dem Strich die höheren Gewinne abliefern kann – und da ist der Unterschied schon jetzt nicht mehr so riesig.
Alles ist möglich
Es fällt mir schwer, hier eine klare Meinung zu formulieren, was die Perspektiven angeht. Zu stark gespreizt sind die möglichen Szenarien für beide Konzerne. Die Deutsche Bank taumelt weiterhin von einem Skandal zum nächsten. Hält der Trend an, dann sieht die Zukunft düster aus. Schließlich gibt es jede Menge ausländische Konkurrenten, die viel höhere Gewinne schreiben und wohl auch ihre Strategie seit Jahren konsequenter vorantreiben können.
Andererseits ist es auch durchaus möglich, dass die Restrukturierungsmaßnahmen und spannenden Digitaliniativen (Digitalfabrik Frankfurt, Hyperledger, Digital Ventures, Fintech-Plattform etc.) bald greifen und somit der Befreiungsschlag endlich gelingt. Man muss sich daran erinnern, dass früher in einem normalen Zinsumfeld zweistellige Eigenkapitalrenditen die Regel waren. Das würde im Fall der Deutschen Bank über 6 Mrd. Euro Nettogewinn bedeuten und meines Erachtens einen rund viermal so hohen Börsenkurs rechtfertigen.
Der Markt scheint aktuell das düstere Szenario zu bevorzugen und ich denke, die Sorgen sind berechtigt. Trotzdem würde ich den „Phönix aus der Asche“-Fall nicht ausschließen wollen. Bei Wirecard ist die Lage etwas anders: Entweder es läuft okay oder genial. „Okay“ würde bedeuten, dass das Turbowachstum schon mittelfristig abflacht, etwa weil die neuesten Innovationen nicht zünden oder aggressive Konkurrenz die Margen drückt. Wirecard könnte dann nicht in seine Bewertung hineinwachsen und weitere Kursrückgänge wären zu befürchten.
„Genial“ würde bedeuten, dass das Turbowachstum langfristig anhält, sodass die Wirecard-Lokomotive alle Schranken durchbricht. Der Konzern expandiert weiterhin auf allen Ebenen, erobert neue Regionen, entwickelt neue Produkte und übernimmt passende Unternehmen. In diesem Rhythmus kann er schon in wenigen Jahren auf einen Nettogewinn von über einer Milliarde Euro kommen und langfristig in Dimensionen vorstoßen wie die Deutsche Bank in ihren besten Zeiten.
Wo dein Geld besser angelegt ist
Ich finde, dass beide Aktien ihren Reiz haben. Dadurch, dass die Meinungen sehr weit auseinandergehen, bestehen jeweils hohe Gewinnchancen, wenn sich die Negativszenarien nicht bewahrheiten. Letztlich kommt es also darauf an, welche Story du für wahrscheinlicher hältst: dass die Deutsche Bank wieder zur Normalität zurückkehrt oder dass das beeindruckende Wachstum von Wirecard auf Jahre hinaus anhält?
Beides ist realistisch und ich habe den Eindruck, dass die beiden auch in Zukunft noch lange um die höhere Marktkapitalisierung ringen werden.
Der Bärenmarkt-Überlebensguide: Wie du mit einer Marktkorrektur umgehst!
Ein erneutes Aufflammen von Corona in China, Krieg innerhalb Europas und eine schwächelnde Industrie in Deutschland in Zeiten hoher Inflation und steigender Zinsen. Das sind ziemlich viele Risiken, die deinem Depot nicht guttun.
Hier sind vier Schritte, die man unserer Meinung nach immer vor Augen haben sollte, wenn der Aktienmarkt einen Rücksetzer erlebt.
Ralf Anders besitzt keine der erwähnten Aktien. The Motley Fool besitzt keine der erwähnten Aktien.